Die Militarisierung der EU
Eine Intensivierung der militärischen und rüstungsindustriellen Zusammenarbeit mit Paris nimmt schon lange einen zentralen Platz in den deutschen Plänen zur Militarisierung der EU ein. Ohne die Einbindung der französischen Streitkräfte ist der Aufbau weltweit schrankenlos kriegsfähiger EU-Truppen derzeit kaum denkbar. Ehrgeizige Absichtserklärungen, die auch die Gründung neuer EU-Einheiten umfassen, haben die Außen- und Verteidigungsminister Deutschlands und Frankreichs im vergangenen Sommer publiziert (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Seitdem treibt die Bundesregierung die militärische Formierung der EU entschlossen voran. Auch haben Deutschland und Frankreich mittlerweile erste konkrete Schritte auf bilateraler Ebene eingeleitet; so haben vor kurzem praktische Vorarbeiten für die Einrichtung einer deutsch-französischen Lufttransporteinheit im französischen Évreux begonnen. Die Staffel soll ab 2021 mit zehn bis zwölf Transportfliegern des Typs Lockheed C-130J voll einsatzfähig sein.[2] Die deutsche Luftwaffe wird dann gut 150 Soldaten in Évreux stationieren. Rüstungsindustriell ist mit den Planungen für einen neuen deutsch-französischen Kampfpanzer gleichfalls ein Anfang gemacht.[3]
„Ein ganz dickes Brett“
Dennoch wird mit erheblichen Schwierigkeiten gerechnet. Weder Berlin noch Paris sind bislang bereit, die Kontrolle über Kernbereiche ihrer Streitkräfte zu relativieren oder bei Kernbestandteilen ihrer nationalen Rüstungsindustrien Einschränkungen hinzunehmen. Während es Berlin um eine umfassende Konsolidierung der Dominanz in der EU geht, steht für Paris nach seinen dramatischen wirtschaftlichen Einbrüchen der Machterhalt zumindest auf militärisch-rüstungsindustrieller Ebene im Vordergrund. Experten gehen daher von komplizierten Verhandlungen aus: Die „gemeinsame Verteidigung“ werde „ein ganz, ganz besonders dickes und hartes Brett sein“, sagt etwa Henrik Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg voraus. Man werde sich dabei „nur schrittweise annähern können“.[4] Das trifft möglicherweise auch auf die gemeinsame Entwicklung eines neuen Kampfjets zu, die die Regierungen beider Länder am gestrigen Donnerstag in Paris beschlossen haben. Der Flieger soll perspektivisch den Eurofighter ebenso wie die französische Rafale ablösen; ein einheitliches EU-Modell stünde dann US-amerikanischen, russischen wie auch chinesischen Typen gegenüber. Dies entspräche der schon seit langem geforderten Konzentration in der EU-Rüstungsindustrie, die eine kostengünstigere und dennoch schlagkräftigere Aufrüstung ermöglichen soll.
Das 100-Milliarden-Euro-Militärprogramm
Allerdings ist unklar, ob der neue deutsch-französische EU-Kampfjet tatsächlich zustandekommt. Schon beim Eurofighter war Frankreich in frühe Planungsstadien eingebunden, zog sich dann aber zurück, als seinen Interessen nicht ausreichend Rechnung getragen wurde, und entwickelte parallel seine Rafale. Demgegenüber lässt sich festhalten, dass die offene deutsche Dominanz über die EU damals noch nicht gegeben war und zudem die deutsch-französischen Ambitionen, weltpolitisch eine aggressivere Rolle zu spielen, deutlich gewachsen sind. Regierungsberater in Berlin plädieren sogar dafür, noch einen Schritt weiter zu gehen und „ein deutsch-französisches Werftenkonsortium für den Bau der nächsten Korvettengeneration“ in Angriff zu nehmen.[5] Ein Zusammenschluss deutscher und französischer Marineunternehmen war schon vor über einem Jahrzehnt im Gespräch („EADS/Airbus der Meere“), ließ sich aber damals nicht verwirklichen. Eine Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sowie ein Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) schlagen zudem ein „100-Milliarden-Euro-Programm für die Sicherheit und Verteidigung Europas“ vor, das eine von Berlin und Paris zu initiierende „Sicherheitspartnerschaft für Europa“ fundieren solle.[6] Mit konkreten Schritten wird jedoch erst nach der Bundestagswahl Ende September gerechnet.
Die Allianz für den Sahel
Beschlossen worden ist gestern allerdings eine neue „Allianz für den Sahel“. Hintergrund ist der Versuch, aus den Streitkräften der fünf westafrikanischen Sahelstaaten (Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad – „G5 Sahel“) eine nach abweichenden Angaben 5.000 bis 10.000 Mann starke Eingreiftruppe aufzubauen, die Jihadisten, aber auch illegale Händler und Flüchtlinge auf dem Weg ans Mittelmeer aus der Sahelzone vertreiben soll (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Die Truppe soll es den französischen Streitkräften ermöglichen, sich perspektivisch aus dem Sahel zurückzuziehen, um einen zweiten endlosen Einsatz à la Afghanistan zu vermeiden. Allerdings ist neben vielem anderen die Frage der Finanzierung ungeklärt. Die Kosten werden vorläufig auf 423 Millionen Euro beziffert. Die EU stellt 50, die „G5 Sahel“ stellen je zehn Millionen Euro bereit. In Paris heißt es bislang, man könne lediglich acht Millionen Euro zahlen. Der ursprüngliche Plan, die Vereinten Nationen zur Finanzierung heranzuziehen, ist kürzlich am Veto der Vereinigten Staaten gescheitert. Präsident Macron wollte sich am gestrigen Donnerstag bemühen, US-Präsident Donald Trump umzustimmen, und hofft zudem auf weitere Gelder aus Deutschland. Die „Allianz für den Sahel“, auf die Berlin und Paris sich gestern geeinigt haben, soll entwicklungspolitische Aktivitäten in den „G5 Sahel“-Staaten stärken. Indirekt käme sie damit der Aufstellung einer Eingreiftruppe zugute, löst die offene Frage, wie diese insgesamt finanziert werden soll, allerdings nicht.
Eine Reform der Eurozone
Bei alledem weisen Berliner Regierungsberater darauf hin, dass die ehrgeizigen Pläne zum Ausbau der deutsch-französischen Kooperation nur Aussicht auf dauerhaften Erfolg haben, wenn die Bundesregierung auf ökonomischer Ebene kleine Zugeständnisse macht. Macron müsse im Herbst die Anpassung des französischen Arbeitsrechts an deutsche Deregulierungsmodelle durchsetzen, heißt es; das sei ohne ein punktuelles Entgegenkommen vermutlich kaum zu leisten. In der Tat hat Macron am gestrigen Montag in einem vielbeachteten Interview gefordert, Berlin müsse sich bei der Ausgestaltung der Eurozone „bewegen“.[8] Zur Zeit profitiere die deutsche Wirtschaft von der ökonomischen Schwäche Frankreichs und der südlichen Eurostaaten; dieser Zustand sei auf Dauer nicht tragfähig. Macron verlangte deshalb schon im Jahr 2015 Schritte zum Umbau der Eurozone, die ein eigenes Budget, ein Euro-Parlament und einen Finanzminister erhalten solle, der echten politischen Handlungsspielraum besitze und in der Lage sei, die aktuell eklatanten Ungleichheiten innerhalb der Eurozone perspektivisch auszugleichen. Gestern hat Macron darüber hinaus explizit darauf hingewiesen, „dass der deutsche Erfolg durch den europäischen Erfolg verläuft“.
Machtkampf, nächste Runde
Macrons Forderungen sind nicht neu; sie sind in ähnlicher Form schon von seinen Amtsvorgängern Nicolas Sarkozy und François Hollande geäußert worden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sie jeweils entweder unmittelbar abgeblockt oder in zähen Verhandlungen versanden lassen. Letzteres scheint sich erneut abzuzeichnen. Merkel hat vorgeschlagen, anstelle eines Finanzministers den Euro-Rettungsschirm ESM zu stärken und ihn zu einer Art EU-IWF mit eigenem Kreditbudget weiterzuentwickeln. Das liefe auf noch schärfer kontrollierte Austeritätsdiktate nach altem Berliner Modell ohne jede Chance zu politischer Gestaltung hinaus und wäre – wenngleich verbal durchaus ähnlich gestaltet – ziemlich das Gegenteil dessen, was Macron vorschwebt. Will Macron nicht auf die Reform der Eurozone und damit auf die einzige Initiative verzichten, die seine Politik von derjenigen Berlin unterscheidet, dann hat der Machtkampf zwischen Deutschland und Frankreich gestern die nächste Runde erreicht.
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